Eine glückliche Frau, die mit ihrer Farbratte kuschelt

20. Juli 2024 | Lesezeit 8 min

Wie Animal Hoarding eine Leptospirose Epidemie auslöste

Philipp Enders

Im Sommer 2023 kam es zu einem bundeslandübergreifenden Ausbruch von Leptospirose, der mit einem Animal-Hoarding-Fall von Farbratten assoziiert war. Leptospirose ist eine Infektionskrankheit, die von Tieren auf Menschen übertragen werden kann. Die Symptome einer Leptospirose können von grippeähnlichen Beschwerden wie leichtem Fieber und Kopfschmerzen bis hin zu einem schweren und potenziell tödlichen Verlauf reichen. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch direkten oder indirekten Kontakt mit dem Urin infizierter Ratten und Mäuse, die den Erreger in großen Mengen ausscheiden können. In Deutschland halten etwa 5 % aller Haushalte potenzielle Wirte dieser Krankheit wie Meerschweinchen, Ratten oder Mäuse als Haustiere.

Quellenangaben:

[1] RKI 'Epidemiologisches Bulletin 27 2024' Quelle, 18.07.24
[2] Tierheim Würzburg facebook 'Bericht und Spendenaufruf' Quelle, 18.07.24
[3] TV Main Franken 'Animal Hoarding Fall in Würzburg' Quelle, 18.07.24
[4] Deutscher Tierschutzbund 'Animal Hoarding Bericht 2023' Quelle, 18.07.24

© Philipp Enders / Midjourney

Eine glückliche Frau, die mit ihrer Farbratte kuschelt

Anfang August 2023 informierte das Hessische Landesamt für Gesundheit und Pflege das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit über zwei Fälle von Leptospirose im Landkreis Darmstadt-Dieburg in Hessen. In der betroffenen Familie erkrankte der Vater so schwer, dass eine Beatmung notwendig war. Die Tochter wurde bereits im Februar 2023 hospitalisiert und nach einer antibiotischen Behandlung und einer Listeriose-Diagnose entlassen. Erst nach der Diagnose ihres Vaters auf Leptospirose sind bei ihr ebenfalls Antikörper gegen Leptospiren nachgewiesen worden.

Ermittlungen des zuständigen hessischen Gesundheitsamtes ergaben, dass die Familie drei Farbratten als Haustiere hielt, die ein Jahr zuvor von einem “Züchter” aus Würzburg in Bayern übernommen worden waren. Im Konsiliarlabor des Bundesinstituts für Risikobewertung konnte bei den Ratten der Familie die Krankheitserreger aus Urinproben nachgewiesen werden. Die durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eingeleiteten Ermittlungen ergaben, dass der ursprüngliche Halter der Ratten schon vor über einem Jahr ebenfalls an der meldepflichtigen Krankheit erkrankt und stationär im Krankenhaus aufgenommen worden war.

14 Monate zuvor in einer kleinen Wohnung in Würzburg

Im Juli 2022 vollstreckte ein Gerichtsvollzieher die Räumung einer Wohnung in der Würzburger Innenstadt und informierte das Veterinäramt darüber, dass sich rund 30 Ratten in der Wohnung aufhielten und eine tierschutzrechtliche Überprüfung notwendig sei.

Vor Ort bot sich den Beamten und Helfern des Tierheims Würzburg eine chaotische, unhygienische und nicht tierschutzkonforme Haltung. Viele der Ratten bewegten sich ungehindert in der 50 Quadratmeter kleinen Wohnung und mussten händisch eingefangen werden. Insgesamt wurden so 120 Farbratten eingesammelt. Alle Ratten waren unkastriert, die Weibchen größtenteils trächtig, und viele der Tiere mit Parasiten befallen, verletzt, krank, unterernährt oder wiesen Missbildungen aufgrund mutmaßlicher Inzucht auf. Viele Ratten konnten von einem Tierarzt behandelt werden, während einige aufgrund ihres Leidens eingeschläfert werden mussten.[2]

Zu diesem Zeitpunkt war den Behörden und Helfern nicht bekannt, dass der ursprüngliche Besitzer sich bei diesen Ratten mit Leptospirose angesteckt hatte und wegen lebensbedrohlicher Symptome im Krankenhaus lag. So wurden die verbleibenden Tiere in der Kleintierstation des örtlichen Tierheims untergebracht und Mitte August 2022 zur Vermittlung freigegeben. Aufgrund der großen Zahl wurden einige der Tiere an Tierheime in München und Lauterbach in Hessen übergeben. Die restlichen wurden an Privatpersonen vermittelt. Dabei half auch der lokale Sender TV Mainfranken mit einer Reportage.[3]

Zwischenzeitlich erholte sich der ursprüngliche Besitzer der 120 Farbratten und zog nach seiner Genesung in eine neue Wohnung. Im Oktober 2022 wurde er erneut vom Veterinäramt kontrolliert. Dabei stellten die Beamten erneut die Haltung von 49 Ratten fest und ordneten umgehend eine Bestandsreduktion an.

In den nächsten fünf Monaten verkaufte der Mann 18 Ratten über ein Kleinanzeigenportal an Privatleute, während die anderen Tiere über die Tierheime vermittelt wurden.

Veterinärämter und Gesundheitsämter arbeiten zusammen um die Ausbreitung einzudämmen

Ende Juni 2023 wurde das Veterinäramt der Stadt Würzburg darüber informiert, dass eine Farbratte, die nach der Vermittlung aus dem Tierheim stammte, positiv auf Leptospiren getestet worden war und aus dem Animal-Hoarding-Fall kam. Daraufhin wurden Urinproben einiger verbleibender Ratten im Tierheim Würzburg untersucht und ebenfalls positiv auf Leptospiren getestet. Diese Tiere wurden daraufhin euthanasiert, und es wurden Auflagen für die weitere Abgabe der übrigen Ratten angeordnet. Im Juli 2023 erhielt das Gesundheitsamt Würzburg in Bayern Informationen über die Erkrankung des Vaters aus Hessen und informierte das Veterinäramt der Stadt Würzburg über einen möglichen Zusammenhang zwischen den humanen Leptospirose-Fällen und dem Rattenbestand aus dem Animal-Hoarding-Fall.

In einem ersten Schritt wurden alle Halter ermittelt, die Ratten aus dem Animal-Hoarding-Fall aufgenommen hatten, einschließlich der online vermittelten Tiere. Es folgten Kontaktaufnahmen und Aufklärungsanrufe über das potenzielle Infektionsrisiko und die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen. Den Haltern wurde angeboten, ihre Ratten auf eine akute Infektion mit Leptospiren untersuchen zu lassen. Personen, die Kontakt zu den Ratten hatten, wie z. B. Tierheimmitarbeiter, wurde eine serologische Untersuchung angeboten bzw. bei Auftreten entsprechender Symptome auch eine Urinuntersuchung.

Zudem führten alle Gesundheitsämter in Bayern und Hessen Nachermittlungen durch, um festzustellen, ob Leptospirose-Fälle ohne Angaben zum Infektionsweg oder Fälle mit angegebener Ratten- oder Tierexposition in Zusammenhang mit dem Animal-Hoarding-Fall stehen könnten. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) informierte die Landesstellen in Sachsen, Hessen und Baden-Württemberg darüber, dass Personen aus ihren Bundesländern potenziell infizierte Ratten aus dem Bestand des Animal-Hoarding-Falls bezogen hatten.

Fazit des Robert Koch Institut

Das Ausbruchsgeschehen der Leptospirose war äußerst komplex und involvierte Gesundheits- und Veterinärbehörden auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Zwischen Juni 2022 und August 2023 erkrankten insgesamt vier Personen teilweise schwer.

Zusätzlich wurde durch das freiwillige Einsenden von Serumproben von sieben Tierbesitzern und deren Kontaktpersonen eine vorherige Infektion mit dem Erreger nachgewiesen. Bei neun Ratten konnten aktive Infektionen mit Leptospiren festgestellt werden. In sieben Fällen stimmten die Untersuchungsergebnisse der eingesandten humanen Serumproben mit denen der untersuchten Ratten überein, während in sieben weiteren Fällen der Rattenurin positiv getestet wurde, obwohl die zugehörigen humanen Serumproben ein negatives Ergebnis lieferten.

Aufgrund fehlender Angaben und Datenschutzregelungen konnte die Zuordnung zu den Haltern nur bedingt erfolgen, insbesondere bei privatem Handel über ein Kleinanzeigenportal, wo keine Dokumentation der Abgabe von Tieren stattfand. Dies erschwerte auch die Rückverfolgung der Halter der infizierten Ratten.

Das unterschiedliche Vorgehen der Behörden bei humanen und tierischen Fällen führte zu Kommunikationsschwierigkeiten an der Schnittstelle zwischen Öffentlichem Gesundheitsdienst und Veterinärbehörden, was die Zuordnung von Leptospirose-Fällen bei Menschen und Tieren erschwerte.

Nachdem der Zusammenhang zwischen den humanen Leptospirose-Fällen und dem Animal-Hoarding-Fall erkannt wurde, konnte durch Therapie und anschließende Kontrolluntersuchungen das Infektionsrisiko für die Tierbesitzer reduziert werden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass auch in den kommenden Monaten weitere assoziierte Fälle auftreten könnten, bedingt durch das Ausmaß der Veräußerung potenziell infizierter Tiere.

Der Kontakt zu Ratten sollte daher zukünftig verstärkt als potenzielle Infektionsquelle berücksichtigt werden. Der Deutsche Tierschutzbund gab an, dass im Jahr 2023 insgesamt 2323 Mäuse und Ratten aus Animal-Hoarding-Haushalten gerettet wurden. Insgesamt waren es fast 6700 dokumentierte Tiere.[4] Darunter Katzen, Hunde und Vögel. Eine Auflistung aktueller Animal Hoarding Fälle finden sie hier.

Erfahren Sie mehr über Animal Hoarding in unserem Brennpunkt

Quellenangaben:

[1] RKI 'Epidemiologisches Bulletin 27 2024' Quelle, 18.07.24
[2] Tierheim Würzburg facebook 'Bericht und Spendenaufruf' Quelle, 18.07.24
[3] TV Main Franken 'Animal Hoarding Fall in Würzburg' Quelle, 18.07.24
[4] Deutscher Tierschutzbund 'Animal Hoarding Bericht 2023' Quelle, 18.07.24