Ein Junge aus Narok, Kenia, hält seinen Hund fest, damit er gegen Tollwut geimpft werden kann.

7. Mai 2024 | Lesezeit 8 min

Wie eine Tollwutimpfung in Deutschland Leben in Afrika rettet?

Philipp Enders

Die erste uns bekannte Erwähnung von Tollwut datiert mittlerweile auf etwa 4000 Jahren zurück. Bereits im Codex Ešnunna, einem Teil der Rechtsschriften des alten Babylons, wird ein Fall eines Tollwut-infizierten Hundes beschrieben, der einen Mann angriff, woraufhin dieser der Krankheit erlag. Über die Jahrtausende hinweg wurden in den unterschiedlichsten Kulturen immer wieder Symptome beschrieben, die auf Tollwut hinweisen. In Japan fürchtete man sich vor den Nekomata, wilden Monstern aus den Bergen. Durch Überlieferungen der indigenen Bewohner der Arktis, den Inuit, wissen wir, dass Tollwut schon lange bekannt ist und die Griechen hinterließen uns den Mythos von Aktaion, der als Strafe für seine Neugier von seinen eigenen Hunden gefressen wurde. Einige Erzählungen beschreiben, dass Lyssa, die Göttin des Wahnsinns und der wütenden Rage, die Hunde mit Tollwut "infiziert" hatte.

Bis in die jüngste Geschichte war der Kontakt mit dem Tollwutvirus fast immer tödlich. Erst im Jahr 1885 wurde der erste Impfstoff am Menschen erfolgreich getestet. Louis Pasteur, der Begründer der Keimtheorie, entwickelte durch seine Grundlagenforschung den ersten im Labor hergestellten Impfstoff und testete ihn erfolgreich an einem 9-jährigen Jungen. Diese Therapie dauerte 2 Wochen und erforderte 14 Einzelinjektionen. Seither hat sich der Impfstoff wesentlich weiterentwickelt, und damit auch die Strategien zur Bekämpfung von Tollwut. Insbesondere hat die Schweizer Idee, mit Impfstoff präparierte Hühnerköpfe aus einem Helikopter abzuwerfen, für viel Aufmerksamkeit gesorgt.

Heute, fast 140 Jahre nach der Erfindung des Impfstoffs gegen Tollwut, sterben aber immer noch jedes Jahr rund 59.000 Menschen an dieser Krankheit. 24.000 davon sind Kinder unter 15 Jahren. [1] Als Zoonose liegt viel Verantwortung für die Bekämpfung von Tollwut auf den Schultern von Tierärzten weltweit, auch in Deutschland.

Quellenangaben:

[1] WHO 'Rabies' Quelle, 06.5.24
[2] BMEL 'Deutschland ist frei von Tollwut' Quelle, 06.5.24
[3] BMEL 'Impfschutz gegen Tollwut in der EU' Quelle, 06.5.24
[4] RKI 'Keine Therapie' Quelle, 06.5.24
[5] RKI 'Rabies' Quelle, 06.5.24
[6] CDC 'Rabies around the World' Quelle, 06.5.24

© Christian Griebenow

Ein Junge aus Narok, Kenia, hält seinen Hund fest, damit er gegen Tollwut geimpft werden kann.

Seit 2008 gilt Deutschland als tollwutfrei[2]. Zwar gibt es gelegentlich weiterhin Meldungen über Tollwut bei Tieren und Menschen, jedoch lassen sich diese immer auf illegalen Tierhandel oder Bisse im Ausland zurückführen. Die Impfpflicht für Haustiere[3], die nach Deutschland einreisen, trägt maßgeblich zum anhaltenden Erfolg bei. Ebenso spielen die Aufklärung von Tierbesitzern zum Thema Tollwut, Kontrollmaßnahmen bei Wildtieren und eine flächendeckende Versorgung mit Impfstoff eine entscheidende Rolle. All diese Maßnahmen haben sich in der Praxis als wirksam erwiesen, werden jedoch längst nicht in allen Ländern der Welt umgesetzt. So versuchen auch afrikanische Länder eine effektive Strategie gegen Tollwut zu finden.

Wir sprachen mit Frau Dr. Dorothee Deppe, an der Kleintierklinik Bretzenheim darüber, wie der Erfolg im Kampf gegen Tollwut in Deutschland auf Ostafrika übertragen werden kann. Die Fachtierärztin für Kleintiere im Bereich Innere Medizin und Weichteilchirurgie hatte sich schon lange vor ihrer Approbation 1995 für Tiergesundheit in Afrika engagiert. Damals arbeitete sie als Tierarzthelferin in Namibia und erlebte die Herausforderungen hautnah. Insbesondere erinnert sie sich an die Tollwuterkrankungen bei Nutz- und Haustieren, von denen durch den engen Kontakt mit Menschen eine besondere Gefahr ausgeht.

Die Chancen, gegen ein Virus mit einer 100%igen Sterblichkeitsrate[4] anzukommen, scheint entmutigend. Obwohl es die Möglichkeit der Postexpositionsprophylaxe (PEP) gibt, um eine Infektion mit dem Virus nach einem Biss zu verhindern, muss diese so schnell wie möglich nach dem Vorfall eingeleitet werden. Zusätzlich sind die Kosten für eine PEP sehr hoch und aufgrund begrenzter Verfügbarkeit keine praktikable Lösung. Hinzu kommt, dass aufgrund mangelnder Aufklärung viele Menschen nicht wissen, dass schon kleine, blutige Verletzungen, die mit dem Speichel eines tollwutkranken Tieres in Berührung kommen, eine Tollwutinfektion auslösen können. Dies führt dazu, dass eine Tollwutinfektion erst erkannt wird, wenn es für eine PEP-Therapie zu spät ist. Alternativ könnte man erwägen, die gesamte Bevölkerung vorbeugend zu impfen. Allein in Kenia wären das bereits 55 Millionen Menschen, Tendenz steigend. In einem Land mit unzureichender Infrastruktur und in dem fast jeder Zehnte nicht genug zum Essen hat, ist dies jedoch keine realistische Lösung.

Die erschütterndste Zahl aus den Tollwutstatistiken ist, dass fast die Hälfte aller Todesfälle Kinder unter 15 Jahren sind[5]. Frau Dr. Deppe erinnert sich noch gut daran, wie insbesondere Kinder oft engen Kontakt zu Hunden hatten. Dies stellt einen nicht zu kontrollierenden Risikofaktor dar, wenn man bedenkt, dass 99 % aller tödlichen Tollwut Infektionen[6] bei Menschen durch Hunde verursacht werden. Aber es bietet auch eine enorme Chance, denn wenn Hunde durch Tollwutimpfungen geschützt werden, schützt man gleichzeitig auch Menschen. Es gibt "nur" etwa 5 Millionen Hunde in Kenia. Das bedeutet, wenn man Hunde statt Menschen impft, werden 11 Mal weniger Impfdosen benötigt aber trotzdem alle Menschen geschützt. Berücksichtigt man zudem den Faktor der Herdenimmunität, werden sogar noch weniger Impfdosen benötigt.

Eine Tierärztin impft einen Hund in Afrika gegen Tollwut © Henry Fuchs

Eine Chance, die der Verein Tierärzte ohne Grenzen erkannt hat und deshalb eine Impfaktion in Ostafrika gestartet hat. Die Idee ist denkbar einfach: Tierarztpraxen und -kliniken spenden während eines festgelegten Aktionszeitraums 50 % ihrer Impfeinnahmen, und der Verein Tierärzte ohne Grenzen macht ein tollwutfreies Ostafrika möglich. Diese Aktion wird mittlerweile seit 20 Jahren erfolgreich durchgeführt. Seit fast genau so vielen Jahren unterstützt auch Frau Dr. Deppe das Projekt. Sie ergriff damals die Initiative und konnte ihre Klinikleitung überzeugen, daran teilzunehmen. "War gar nicht so schwer", erinnert sie sich. Mit voller Unterstützung ihres Chefs, ihrer Kollegen und der Buchhaltung konnte sie seitdem unzählige Impfdosen für Afrika ermöglichen.

Ein Welpe wird gegen Tollwut geimpft © Christian Griebenow

Tierärzte ohne Grenzen e.V. hat damals im Maasai Mara in Kenia angefangen. 2020 folgte dann Uganda, nur ein Jahr später der Südsudan und seit 2022 auch Äthiopien. Dieser Erfolg hat viel Vorbereitung erfordert. Die unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten stellen ihre ganz eigenen Herausforderungen dar. Deshalb ist eine gute Organisation wichtig. Jede Impfkampagne ist in vier Phasen aufgeteilt. Alles beginnt mit der Planung und der Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden, um die Logistik zu organisieren.

Ist alles vorbereitet, kann die Öffentlichkeitsarbeit beginnen. Um flächendeckend über die bevorstehenden kostenlosen Impfungen zu informieren, wird mit lokalen Radiosendern zusammengearbeitet, Plakate aufgehängt, Flyer verteilt und Schulen besucht.

Weiß jeder Bescheid, geht es um die Versorgung der Vierbeiner. Dafür fahren Teams von Tierärzten und Helfern zu den einzelnen Gemeinden und kümmern sich um die Hunde. Jedes Tier wird untersucht, bei Bedarf behandelt, entwurmt und zum Schluss geimpft.

Nachdem alle Fellnasen versorgt sind, wird in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden das Infektionsgeschehen weiter beobachtet, um auf akute Ausbrüche in einzelnen Gemeinden schnell und gezielt reagieren zu können. Alles ziemlich aufwendig, aber mit einem lohnenden Ergebnis.

Die teilnehmenden Tierarztpraxen in Deutschland haben es wesentlich einfacher. Zweimal im Jahr, im Mai und September, werden Aktionszeiträume angeboten. Alternativ kann bei der Anmeldung auch ein eigener Zeitraum gewählt werden. Während dieser Zeiträume werden 50 % der Impfeinnahmen gespendet, wodurch der Verein seine Arbeit finanzieren kann. So können für jede gespendete 50 Euro 33 Impfdosen organisiert, 2 Impfhelfer ausgebildet und unzählige Menschen über die Gefahr von Tollwut aufgeklärt werden. Im Jahr 2023 haben insgesamt 384 Praxen aktiv gespendet, um ein tollwutfreies Ostafrika bis 2030 möglich zu machen. Hier können Sie Ihre Praxis anmelden.

Kinder aus Kenia zeigen Impfzertifikate für ihre Hunde © Henry Fuchs

Die Organisation ist denkbar einfach: Teilnehmende Praxen erhalten von dem Verein Tierärzte ohne Grenzen Plakate, Flyer und digitale Werbebanner. Frau Dr. Deppe verfügt bereits über sehr viel Erfahrung und hat uns ein paar Tipps gegeben:

  • Aktionsplakate aufhängen
  • Über die Aktion auf der Webseite und den sozialen Medien informieren
  • Infomaterial auslegen
  • An Impftermine erinnern und diese möglichst in den Aktionszeitraum legen
  • Tierbesitzer über die risiken von Tollwut aufklären
  • Spendenbox aufstellen

“WIR müssen unsere Möglichkeiten des Kampfes gegen die Zoonose Tollwut wahrnehmen und unterstützen. Helfen SIE Tierärzte ohne Grenzen e.V. dabei, das ZIEL zu erreichen, dass bis 2030 in Ostafrika niemand mehr an Tollwut sterben muss.” - Dr. Dorothee Deppe

Die Anmeldung und weitere Informationen finden Sie hier.

Quellenangaben:

[1] WHO 'Rabies' Quelle, 06.5.24
[2] BMEL 'Deutschland ist frei von Tollwut' Quelle, 06.5.24
[3] BMEL 'Impfschutz gegen Tollwut in der EU' Quelle, 06.5.24
[4] RKI 'Keine Therapie' Quelle, 06.5.24
[5] RKI 'Rabies' Quelle, 06.5.24
[6] CDC 'Rabies around the World' Quelle, 06.5.24