Eine Frau die durch eine Personenschlupföffnung einen Kuhstall verlässt

11. März 2024 | Lesezeit 8 min

Sicheres Arbeiten im Rinderstall

Philipp Enders

Nach der Besamung eines Rindes wurde ein Techniker von einem unbeteiligten Rind angegriffen. Dem Techniker gelang die Flucht durch das Fangfressgitter. Bei diesem Angriff erlitt er Frakturen mehrerer Wirbelkörper sowie der Rippen, überlebte jedoch. Dass der Techniker trotz seiner schweren Verletzungen noch Glück hatte, zeigt ein Vorfall ende 2023 im Landkreis Weilheim-Schongau. Dort wurde ein 67-jähriger Tierarzt bei einer Behandlung von einer Kuh eingequetscht und verstarb noch am Unfallort[1]. Diese und ähnliche Unfälle sind leider keine Einzelfälle. Die Gefährdungen in der Rinderhaltung spiegeln sich auch in der Unfallstatistik der SVLFG wider: Unfälle mit Rindern machen dabei mit 4.764 meldepflichtigen Unfällen und sieben tödlichen Unfällen den größten Anteil aus. Bei der Behandlung von Rindern erlitten 352 Versicherte einen meldepflichtigen Arbeitsunfall.[2]

Quellenangaben:

[1] Bayerischer Rundfunk 'Tierarzt stirbt bei Arbeitsunfall' Quelle, 01.10.23
[2] SVLFG Presseanfrage 'Unfallstatistik 2021' Quelle, 28.02.24
[3] SVLFG 'VSG 4.1' Quelle, 12.03.24

© SVLFG

Eine Frau die durch eine Personenschlupföffnung einen Kuhstall verlässt

Als Tierarzt ist es wichtig, die Unfallverhütungsmaßnahmen im Stall zu kennen. Die SVLFG setzt sich als Unfallversicherungsträger grüner Branchen für die Sicherheit im Stall ein. Deshalb wurde im April 2021 die Unfallverhütungsvorschrift "Tierhaltung" (VSG 4.1)[3] novelliert, um diesen Schutz weiter auszubauen. Die VSG 4.1 legt fest, welche baulichen und technischen Einrichtungen vorhanden sein müssen sowie welche persönliche Schutzausrüstung und Verhaltensweisen im Stall erforderlich sind. Dabei wurden die Vorschriften dem Stand der Technik angepasst und Unfallanalysen für die Überarbeitung einbezogen.

Um Landwirten Planungssicherheit zu gewähren und jedem die Chance zu geben, Ställe den Vorschriften entsprechend anzupassen, wurde eine dreijährige Übergangsfrist gewährt. Diese endet am 1. April 2024.

Die landwirtschaftliche Unfallversicherung ist eine Pflichtversicherung für die Land- und Forstwirtschaft, und die Unfallverhütungsvorschriften sind für alle Versicherten verbindlich, ohne Ausnahme. Damit müssen alle gewerblichen Nutztierhaltungen diese Vorschriften befolgen, was Tierärzten flächendeckend und ausnahmslos die Möglichkeit gibt, sicher im Stall zu arbeiten. Wir haben mit Corinna Niemeier von SVLFG gesprochen und gefragt, wie die neuen Sicherheitskonzepte Tierärzten helfen können, Unfälle zu vermeiden.

Für die aktive Umsetzung der Arbeitssicherheit ist eine Unterweisung in die Abläufe unumgänglich. Angesichts unerwarteter Reaktionen von Rindern kann das richtige Verhalten den Unterschied zwischen einem Schreckmoment und ernsthaften Verletzungen ausmachen. Daher ist eine Unterweisung insbesondere für betriebsfremde Personen notwendig. Das Kennen aller Fluchtmöglichkeiten und das Testen möglicher Öffnungsmechanismen können helfen, den Gefahrenbereich schnellstmöglich zu verlassen und Schlimmeres zu verhindern.

Eine Frau die durch eine Personenschlupföffnung einen Kuhstall verlässt

Ein wesentlicher Bestandteil für sicheres Arbeiten ist die Möglichkeit eines Fluchtwegs aus einer Gefahrensituation. Personenschlupföffnungen haben sich in der Praxis bewährt und ermöglichen es, den Stall gefahrlos zu betreten oder zu verlassen. Es ist wichtig, dass diese in ausreichender Anzahl vorhanden sind. Der verkürzte Arbeitsweg in den Stall ist hierbei ein willkommener Nebeneffekt.

Änderungen für Milchviehhalter mit Deckbullen. Milchviehhalter entscheiden sich aufgrund wachsender Herdengrößen und verkürzter Brunstphasen bzw. Stillbrünstigkeit sowie steigender Arbeitsbelastung weiterhin für den Natursprung durch Deckbullen. Diese Arbeitsentlastung erhöht jedoch das Risiko von Arbeitsunfällen erheblich. Um das Arbeiten in der Herde sicherer zu gestalten, ist es notwendig, den Deckbullen in einer separaten Bucht zu halten. Die Einzelbuchten müssen bestimmte Eigenschaften aufweisen:

  • Stabile Bauweise
  • Rutschfester Bodenbelag
  • Mindestens eine Fixiereinrichtung
  • Mindestens eine Fluchtmöglichkeit (Personenschlupföffnung)

Ein Mann verlässt eine Bullenbucht durch senkrechte Stangen

Als Fixiereinrichtung dient ein Sicherheitsfangfressgitter mit ausreichender Stabilität und Größe. Als äußere Abtrennung der Deckbullenbucht haben sich stabile, senkrechte Stangen bewährt, die Personen den Durchschlupf ermöglichen.

Separate Bullenbuchten. in direkter Nähe zur Herde ermöglichen eine tiergerechte Haltung und erhöhen gleichzeitig die Arbeitssicherheit. Eine überlegte Platzierung der Deckbullenbucht führt neben der stressfreien Abtrennung und Fixierung des Bullens auch zu einem sicheren Zu- und Abtrieb von Rindern. Brünstige Tiere halten sich in unmittelbarer Nähe der Deckbullenbucht auf, sodass der Landwirt gezielt entscheiden kann, welche Rinder er mit geprüften Besamungsbullen besamt und welche er dem Deckbullen zuführt. Die SVLFG weist jedoch darauf hin, auf künstliche Besamung zu setzen und gänzlich auf einen Deckbullen zu verzichten. Dies ist der beste Weg, schwere und tödliche Unfälle bei der Deckbullenhaltung zu vermeiden.

Separation und Fixierung für alle Tiere. Während der Behandlung besteht nicht nur Gefahr vom zu behandelnden Tier, sondern auch von der restlichen ungesicherten Herde. Daher wird von der SVLFG betont, dass sich keine freilaufenden Tiere in dem Bereich aufhalten dürfen, in dem einzelne Tiere oder Gruppen behandelt werden.

Die Fixierung aller Tiere, einschließlich derjenigen, die nicht behandelt werden müssen, hat sich als nicht praxistauglich erwiesen. Daher empfiehlt die SVLFG, Stallbereiche voneinander zu trennen. In Ställen mit bereits umgesetzten Sicherheitskonzepten haben sich die Separation von Bereichen durch Schwenkgatter, Hubtore oder Schranken als besonders alltagstauglich erwiesen. Sicherheitsfangfressgitter bieten eine geeignete Lösung, um einzelne Tiere in den separierten Bereichen sicher zu fixieren.

Zwei Kühe die durch ein Schwenkgatter aufgeteilt wurden

Sicherheitsfangfressgitter ermöglichen es, Tiere einzeln zu fixieren. Der Bügel im unteren Bereich verhindert eine Fehlfixierung und die Gefahr des Festlegens. Für Separationsbuchten wie beispielsweise Kranken- oder Abkalbebuchten stellen Schwenkgatter mit Halsfangrahmen eine Möglichkeit zur sicheren Behandlung des Muttertieres und einer gefahrlosen Erstversorgung des Kalbes dar. Das Gatter verfügt über zwei integrierte Klappen zur Behandlung. Die obere Klappe gibt den Rumpf frei, die untere ist auf Höhe des Euters und kann z. B. zum Ansetzen des Kalbes geöffnet werden. Mit einem Halsfangrahmen kombiniert, entsteht eine Behandlungsbox, die leicht – mit überschaubaren Kosten - auch in bestehende Abkalbe- oder Krankenbuchten integrierbar ist. Durch die schwenkbare Anbringung des Gatters an den Halsfangrahmen kann zum Eintrieb ein Trichter gebildet werden. Die Kette an der Rückseite des Gatters wird hinter dem Tier geschlossen und gibt eine zusätzliche Fixierung.

Kranken- und Abkalbebucht mit einer Kuh die von einem Mann fixiert wird

Eine Separation ist ebenfalls gewährleistet, wenn alle Tiere in einen sicheren Bereich getrieben und dort einzeln fixiert werden können, beispielsweise mit Fang- und Behandlungsständen. Grundsätzlich sollte bei jedem Selektions- bzw. Treibvorgang und bei der Behandlung eine zweite Person im Stall anwesend sein, die bei Bedarf eingreifen oder Hilfe holen kann.


Viele der neuen Vorgaben wurden schon lange vor der Novellierung der VSG bei Stallneu- und -umbauten umgesetzt. Diese Maßnahmen für mehr Arbeitsschutz haben sich dort längst bewährt und zeigen, dass sich die neuen Anforderungen gut umsetzen lassen und für mehr Sicherheit sorgen. Einfache und kostengünstige Lösungen sind dabei ebenso effektiv wie kostspielige, automatisierte Lösungen. Grundsätzlich lassen sich Tore und Gatter fast überall mit überschaubarem Aufwand nachrüsten und schaffen die benötigten Separationsbereiche.

Als Tierarzt ist es wichtig, auf eine Unterweisung zu bestehen und auf mangelnde Umsetzung der technisch-organisatorischen Anforderungen hinzuweisen. Man sollte sich nicht von Aussagen wie "Das ist doch schnell erledigt" oder "Die kleine Spritze spürt er eh nicht" überreden lassen, denn auch "kurze" Behandlungen können lebensbedrohliche Situationen mit sich bringen.

Für Landwirte bietet die SVLFG eine kostenlose Bauberatung an und hilft dabei, nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch Tierärzten ein sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen: Link zur SVLFG-Bauberatung

Quellenangaben:

[1] Bayerischer Rundfunk 'Tierarzt stirbt bei Arbeitsunfall' Quelle, 01.10.23
[2] SVLFG Presseanfrage 'Unfallstatistik 2021' Quelle, 28.02.24
[3] SVLFG 'VSG 4.1' Quelle, 12.03.24